(C) photonews.at/Georges Schneider -  Wien 22.08.2017 - Gudrun Kugler
Gespräch mit NRAbg. Gudrun Kugler – Corona-Krise & Internatinoale Entwicklungen
2. April 2020
0

Rückblick – Livestream mit Nationalratsabgeordneter Dr. Gudrun Kugler über Corona und die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft

Die „Corona-Krise“ hält derzeit den ganzen Erdkreis in ihrem Bann. Das öffentliche Leben steht still und „social distancing“ lässt viele Menschen eine noch nie gekannte Einsamkeit spüren. Doch nicht alles bleibt liegen. Die moderne Technologie ermöglicht uns, miteinander in Verbindung zu treten und nicht alles ruhen zu lassen. Dies betrifft auch die Politik. Dr. Gudrun Kugler, Nationalratsabgeordnete und Menschenrechtssprecherin für die ÖVP, stellte sich am Donnerstag, den 26. März, um 17:30 in einem Gespräch dem Thema sowie anschließend den Fragen politisch Interessierter. Das Gespräch wurde organisiert von der Plattform Christdemokratie, gestreamt wurde live auf Facebook, wo das Gespräch noch nachzusehen ist. Präsident Jan Ledóchowski, Kandidat für die kommende Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien, hat den Fokus als Fragesteller hierbei weniger auf COVID-19 als Krankheit, sondern vielmehr auf die gesellschaftlichen Auswirkungen und Aussichten der Krise gelegt.

Zum derzeitigen Stand (31. März, Nachmittag) haben wir in Österreich 10.019 bestätigte Fälle sowie 128 Todesopfer. In anderen Ländern, vor allem Italien und Spanien, sieht die Situation weit schlimmer aus, in beiden Ländern droht die ernste Gefahr eines Zusammenbruchs des Gesundheitssystems. Ähnliches droht jedoch auch hierzulande und in nahezu jedem europäischen Land. Niemand bleibt unberührt von der Ausbreitung des Virus. Dabei greifen unterschiedliche Länder zu unterschiedlichen Methoden der Eindämmung oder Bekämpfung des Virus. In China, wo das Virus seinen Ausgang nahm, hatte man mit staatlich kontrollierter Quarantäne und einem Lockdown der betroffenen Gebiete reagiert, die Ausbreitungswelle schnell verlangsamen können und so die Pandemie unter Kontrolle gebracht. Nach knapp zwei Monaten wurden mittlerweile die Ausgangsbestimmungen in der Provinz Hubei großteils aufgehoben und selbst im Ausgangspunkt der Pandemie, Wuhan, wird mit Anfang April das öffentliche Leben wieder langsam aufgenommen werden. Ein zweites Modell, wie der Virus unter Kontrolle gebracht werden kann, findet sich in anderen ostasiatische Länder, wie etwa Taiwan (https://foreignpolicy.com/2020/03/16/taiwan-china-fear-coronavirus-success/). Dort wurde bereits nach Gerüchten um eine Pandemie sofort reagiert, der Vorrat an Masken und Geräten in den Krankenhäusern immens aufgestockt, entsprechende Industrien verstaatlicht, um die Aufstockung abzusichern (in Taiwan werden derzeit rund 10 Millionen Masken täglich produziert), die Grenzen zu China und anderen Zentren der Pandemie sofort geschlossen und schließlich durch das sogenannte Tracking versucht, alle Infizierten und Verdachtsfälle ausfindig zu machen und zu isolieren. Die Strategie war äußerst erfolgreich (so hat Taiwan als unmittelbarer Nachbar Chinas bei derzeitigem Stand nur 235 bestätigte Fälle und zwei Todesopfer), und es gelang dadurch, das öffentliche Lebens großteils aufrecht zu erhalten.

Dieses zweite Modell funktioniert jedoch nur, wenn die Maßnahmen früh genug eingesetzt werden. Da dies fast alle Länder der westlichen Welt verpassten (die Slowakei könnte hier eine Ausnahme darstellen), schienen zunächst die einzigen Optionen Chinas Massenquarantäne und Lockdown oder das Nichtstun und Abwarten zu sein. Manche Länder, wie Italien und Österreich, entschieden sich, in unterschiedlichem Ausmaß, für ersteres, während die meisten anderen Ländern, einerseits aus wirtschaftlichen Erwägungen und andererseits aus Abneigung gegenüber zu totalitär wirkenden Maßnahmen zunächst abwarteten und erst jetzt nachzogen. Das Vereinigte Königreich und die Niederlande setzten zuerst gar auf die sogenannte Herdenimmunität, der zufolge das Virus seine Wirkung verlieren solle, wenn etwa 60-70 Prozent der Bevölkerung damit infiziert werde. Nachdem Forscher jedoch hunderttausende Tote und einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems prophezeiten, schwankten auch diese um. Derzeit sieht es so aus, als würde ganz Europa sich einem freiwilligen wochen- oder gar monatelangem Lockdown hingeben. Kritische Stimmen bleiben nicht aus: Der Mensch sei nicht dafür geschaffen, keine sozialen Kontakte zu pflegen und in ewiger Isolation zu verharren, besonders im Westen, wo die individuelle Freiheit und Autonomie besonders hoch gehalten werde. Diese psychologische Herausforderung sei für die meisten Menschen auch nicht auf lange Dauer durchzuhalten. Ganz besonders gilt dies für die Einsamen und psychisch Kranken. Andere warnen vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch, der durch die Gefahr des Virus für Ältere und Schwächere kaum zu rechtfertigen sei. Schließlich fordere auch die Grippe jedes Jahr Tausende Opfer.

Dabei ist monatelanger Stillstand gar nicht die einzige Alternative zur Herdenimmunität. Der Wissenschaftsblogger Tomas Pueyo (https://medium.com/@tomaspueyo/coronavirus-the-hammer-and-the-dance-be9337092b56) spricht von der sogenannten „The Hammer and the Dance“ Strategie, nach der ein völliger Lockdown von 3-7 Wochen („The Hammer“) ausreichen würde, um danach Schritt für Schritt den Normalzustand wieder herbeizuführen. Der Lockdown muss streng gehandhabt und die Zeit genutzt werden, um die Ansteckungsrate zu minimieren (was hier von selbst geschieht), Pflegepersonal, Infrastruktur, Geräte (Beatmungsgeräte und Masken) immens aufzustocken, durch Forschungen das Virus besser kennenzulernen und die Bevölkerung massiv durchzutesten. Nach der Aufhebung des Lockdowns müssen für einige Monate Maßnahmen, wie das Verbot von Massenveranstaltungen, bestehen bleiben, die meisten können jedoch gelockert und letztlich aufgehoben werden, wenn gleichzeitig weiterhin massiv getestet und das Tracking betrieben wird: Jede regionale Ausbreitung muss sofort isoliert und so gebannt werden. D.h.: Von Zeit zu Zeit muss es wohl kurze regionale Lockdowns geben, um eine neue Ausbreitung sofort zu stoppen („The Dance“). Im Grunde ist es eine Kombination beider erfolgreicher asiatischer Modelle.

NRAbg. Gudrun Kugler stellte sich den äußerst schwierigen Fragen, was der derzeitige Lockdown für unsere Gesellschaft und Europa im Allgemeinen bedeuten wird: Können wir heuer noch mit einem Sommerurlaub rechnen? Wie lange wird die Aufrechterhaltung der derzeitigen Situation dauern? Geht Österreich den richtigen Weg? Was wird geschehen, wenn die Rate nach Wochen immer noch nicht sinkt bzw. was wird geschehen, wenn sich nach Wochen zeigt, dass die hohe Sterblichkeitsrate Italiens in Österreich gar nicht eintritt? Haben wir vielleicht überreagiert?

Nach derzeitigem Stand scheint es keine perfekte Lösung zu geben: Entweder opfern wir einen Teil der Wirtschaft und unseres Wohlstandes oder den schwachen und älteren Teil der Bevölkerung. Diese Fragen berühren zutiefst unser christliches Erbe: Wie viel sind wir bereit für den Schutz der Schutzbedürftigen zu geben? Deuten andererseits nicht Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte im Bereich der Abtreibung und Euthanasie an, dass dieses Credo heute gar nicht mehr unbedingt gelte?

Andererseits muss man sich auch die Frage stellen, ob die gesetzten und teilweise stark kontrollierten Maßnahmen nicht den Weg zu einer totalitären Diktatur bereiten. Dies führt uns in den Bereich der Staatsphilosophie. Darf ein gerechter Staat den Ausnahmezustand setzen und individuelle Freiheiten dem Gemeinwohl aufopfern? Wenn ja, wo sind hier die Grenzen?

Politisch wird die Frage zu stellen sein, was dieser Ausnahmezustand für die Themen Europa und Globalisierung bedeutet. Werden wir eine Stärkung der Nationalstaaten und Rückkehr zum Regionalismus sehen?

Und schließlich stellt sich auch die Frage, was diese Krise für uns als Gesellschaft bedeutet. Ist sie auch eine Chance, zu unseren christlichen Wurzeln, zu Besinnung und Vergeistigung, zu dem, „was wirklich wichtig ist“ zurückzukehren? Werden wir in dieser Zeit wieder die Stärke und den Wert der Familie wiederentdecken?

VON JOHANNES MORAVITZ, M.A.

Das Gespräch mit Dr. Gudrun Kugler hier zum Nachsehen auf der YouTube-Seite der Plattform Christdemokratie:

Diesen Beitrag teilen
Share on FacebookShare on Google+Tweet about this on Twitter

Schreibe einen Kommentar


*

Impressum | Datenschutzerklärung | Zum Newsletter anmelden